Ein Podcast über die Menschen und Geschichten hinter dem Winterthurer Gewerbe.
Das Gewerbe dieser Stadt ist geschichtsträchtig und lebendig. Mit «Reden & Reissen» richten wir ein Mikrofon hinter die Firmennamen. Gemeinsam mit dem Produzenten Simon Berginz besuchen wir spannende Menschen und bringen die Reissenden unserer Stadt zum Reden.
Gewählte Episode

Weiter­gedacht als bis zur eigenen Nasenspitze

Judith Maag, Geschäftsführerin
Simon Berginz fürs BfE
Herbst 2021
Die Maag Recycling AG ist in Winterthur oft Synonym für Entsorgung. Wir haben uns mit der Geschäftsleiterin des Familienbetriebs über die Vergangenheit und Zukunft der Branche unterhalten. Was bedeutet es, für eine Firma die von der Aufbereitung und Entsorgung lebt, sich über Nachhaltigkeit Gedanken zu machen?
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Wenn er durch die Strassen von Winterthur fährt, sieht er manchmal wie sich Gesichter verziehen. Ab und zu hört er auch, wie ihm Schimpfworte nachgerufen werden. „Lumpensammler“ rufen sie ihm hinterher.

Gustav Maag ist das gleichgültig, vielleicht, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er auch einfach zu beschäftigt damit seine Abfälle zu verkaufen. Es handelt sich um Schrott: Altmetall oder Eisen. Gustav Maag ist für diesen Job nach Winterthur umgezogen. Er hat in Dättnau ein Haus, Pferd und Anhänger gekauft. Er klappert Werkstätten und Betriebe ab, um zu sehen was im Müll landet, Gustav Maag schüttelt Abfallsäcke und wenn sie scheppern, schaut er nach, ob sie allenfalls etwas enthalten, was er den Giessereien der Sulzer oder sonstigen Industriebetrieben verkaufen könnte.

Den Güsel hat er schon so durchsucht, als er noch in der Kehrrichtverbrennung in Zürich gearbeitet hat, dort an der Josefstrasse haben sie ihm allerdings gekündigt.

Das neue Schicksal und die Zukunft der Familie Maag ist im Jahr 1924 in Winterthur.



„Reden & Reissen“, ein Podcast vom Büro für Erfrischung, gesprochen und produziert von Simon Berginz.



Fast 80 Jahre später, im September 2021, Winterthur Grüze. Bei der Firma Maag Recycling. Ich stehe auf dem Werkhof, mit der Chefin, Judith Maag, der Urenkelin von Gustav Maag, die den Betrieb in vierter Generation führt. Von Pferd und Anhänger ist natürlich nichts mehr zu sehen. Auf dem modernen Recyclinghof werden Stapler parkiert und der letzte Lieferwagen verlässt das Gelände, Feierabend. Zeit, mit Judith Maag zu sprechen.

Simon Berginz
Dein Urgrossvater hat das ganz hier ins Rollen gebracht, ursprünglich aus einer Not heraus, es gibt die eine oder andere Anekdote dazu in eurer Familie und der Unternehmensgeschichte, hast du dir als Urenkelin und Unternehmensführerin schon überlegt, was er dazu sagen würde, wenn er jetzt hier stehen würde?

Judith Maag
Eher weniger der Urgrossvater, ihn habe ich nie gekannt und kaum Bezug zu ihm, ausserdem hat er das Unternehmen zwar gegründet, allerdings nicht sehr lange geführt. Er ist früh verstorben. Bei meinem Grossvater oder meiner Grossmutter habe ich diesen Gedanken hingegen ab und zu. Was die wohl sagen würden? Wo würden sie die Augen verdrehen, wo würden sie mir eher auf die Schultern klopfen? Was wäre komplett überraschend für sie? Wann würden sie denken „um Himmels Willen, was macht sie da für einen Scheiss!?“

SB
Hast du Antworten gefunden?

JM
Nein, es ist vielmehr ein wohltuendes Zurückdenken, ein Gefühl des Stolzes, das übertragen werden kann. Auf der einen Seite mein Stolz auf sie und ihre Vorleistungen, andererseits natürlich der Wunsch, sie mögen auch stolz sein auf mich.

SB
Gerade fuhr noch einer der letzten Stapler über den Hof, der letzte Lieferwagen hat den Platz verlassen, jetzt ist es ziemlich ruhig. Man hört nur noch den Verkehr hier in der Grüze, sonst ist nicht mehr viel los. Bist du jeweils die Letzte die geht?

JM
Nicht immer, aber es kommt regelmässig vor.

SB
Du bist ja jemand die eigentlich immer arbeitet, auch in der Freizeit oft an das Unternehmen denkt. Gibt es jeweils letzte Gedanken, die dir durch den Kopf gehen, wenn du das Areal verlässt?

JM
Das ist tagesabhängig. Es gibt Tage, an denen ich mich in der Kantine einfach noch kurz hinsetze, einen Kaffee trinke und ohne etwas zu tun oder zu denken durchschnaufe. Häufig bin ich allerdings gedanklich schon am nächsten Ort oder Termin. Manchmal kann ich auch einfach rausgehen und denken es sei ein guter Tag gewesen.

SB
Als kleine Erläuterung für die Hörer:innen und die Lesenden: Wir stehen inmitten von Paletten, Abfall, respektive eben Materialen die rezykliert werden, eine grosse Halde an Altmetall, wie ich das nennen würde. Auf dem Weg hier hin, das war eher ein spontaner Gedanken, habe ich mir überlegt, dass du ja, trotz der riesigen Verantwortung für den Familienbetrieb, eigentlich einen Kindheitstraum lebst. Bei all den Gabelstaplern und Baggern die du befehligst, nicht?

JM
Nun ja, jetzt sind wir natürlich direkt in ein Gender-Thema eingestiegen. Leider bin auch ich noch viel eher so aufgewachsen, dass meine Mutter lieber mit mir Chrälleli- (Fädelperlen) Muster gemacht hat, während sich mein Bruder für Rasenmäher und Motoren hätte interessieren sollen…

SB
Darum auch «Kindertraum», nicht «Bubentraum»

JM
…Wahrscheinlich wäre es tatsächlich ein Kindheitstraum gewesen von mir, hätte ich diesen Zugang schon früher gehabt. Meine Schwäche für laute Maschinen und Geräte habe ich schlussendlich aber erst viel später, in meinem Erwachsenenleben, entdeckt. Nichtsdestotrotz: Ja, das macht Spass! Es ist ein Teil von dieser Branche. Es ist das Urgetüm, das immer noch etwas an diese industrielle Zeit erinnert, man könnte sagen, dass wir mit einer der letzten Vertreter der Winterthurer Schwerindustrie. In unserer Branche kann man noch mit richtig schweren Maschinen arbeiten.

SB
Da schwingt jetzt doch gleich ein kleiner Rest Nostalgie mit, kann das sein? Macht das etwas wehmütig? Vielleicht beim Gedanken daran, dass sich auch hier in den nächsten 10-20 Jahren einiges ändern könnte?

JM
Das ist die grosse Frage: Ändert sich bei uns wirklich etwas? Solange wir Abfall haben, muss der auch aufbereitet werden. Selbst wenn wir mit digitalisierten Elektroautos fahren, die Karosserie muss weiterhin aufbereitet werden. Eine grosse Frage. Rundherum ändert viel. Unser Kerngeschäft bleibt die Rückführung der Rohstoffe aus einem Produkt in eine verarbeitbare Form, eben beispielsweise bei Metallen. Vielleicht kommt irgendwann ein anderer Weg, ich sehe derzeit noch keinen Weg raus aus der Schwerindustrie.

SB
Wir wechseln vom Recyclinghof ins Innere, in den Sitzungsraum. Bevor wir hier über das Unternehmen von Judith Maag und die neusten Herausforderungen sprechen, machen wir doch noch einmal einen kurzen Blick zurück: Alteisensammler, wie eben beispielsweise der Urgrossvater von Judith Maag, stammten eher aus armen Verhältnissen. Ich fand eine Menge Begriffe für diesen Beruf. Da wäre beispielsweise der «Haderer» oder «Hadernkrämer», der «Hodler». In Deutschland sprach man auch vom «Klüngelkerl», «Schrott- und Lumpensammler», «Lokierer», «Lumpenmann», «Plundermann», «Plünmann», «Zottenkrämer», «Eisler», «Eisner», «Isler» und «Gerillhändler» - klingt schon fast wie ein Altwaren- oder Alteisenhändler… All das sind Begriffe die vermutlich deinen Urgrossvater beschrieben hätten. In den unterschiedlichen deutschsprachigen Regionen waren diese Begriffe eben geläufig, wie klingt das für dich?

JM
Einige Begriffe waren mir tatsächlich schon bekannt, einige höre ich nun zum ersten Mal, Chapeau an deine Recherchier-Künste.

SB
Welche Bezeichnungen wurden dir in der Familiengeschichte überliefert? Wie wurde dein Urgrossvater, Gustav Maag, damals genannt?

JM
«Schrotthändler» und «Lumpensammler» sind die beiden Begriffe, die wir kennen, die in der Familie bekannt sind. Damals immer auch sehr abschätzig. Häufig waren das Fahrende in diesem Gewerbe, entsprechend sagte man ihnen auch einfach Zigeuner. Damit war klar, dass die halt eben Schrott oder Lumpen gesammelt haben oder einem klassisch vergleichbaren Gewerbe nachgingen.

SB
Gibt es deiner Meinung nach in der Familiengeschichte, unabhängig davon was nun dein Urgrossvater denken würde, ein Bewusstsein dafür, dass sich aus etwas, das so abschätzig behandelt wurde, ein renommiertes Unternehmen entwickelt hat?

JM
Ja sicher! Insbesondere für die Generation meines Vaters war das wohl wichtig. Als studierter, sogar promovierter Jurist war er wohl der erste studierte Mitarbeiter in dieser Branche in der ganzen Schweiz. Leicht verniedlichend wurde er sogar «Dr. jur. Schrotthändler» genannt. Eine Anekdote, die er mir erzählt hat, betrifft einen Mittags-Lunch beim Rotarier-Club. Er wurde da für ein Input-Referat eingeladen. Für ihn sei das zuvor völlig unvorstellbar gewesen, dass er als Schrotthändler, ein Vertreter dieses Gewerbes, zu so einem Lunch eingeladen würde. In meiner Generation ist das nun natürlich noch einmal viel extremer passiert. Recycling wurde salonfähig. Es gibt heute ein anderes Umweltbewusstsein. Es gibt ein neues, breites Bewusstsein für die Verschwendung von Rohstoffen und Ressourcenknappheit. Aus diesem Randgewerbe wurde damit plötzlich, obwohl es immer noch staubig, dreckig und laut ist, etwas, das die Leute lässig finden. Das ist schon speziell.

SB
Wenn ich in älteren Unterlagen blättere, die eben auf diese Berufsbezeichnung eingehen, denke ich schon, dass sich das eigentlich um 180° gedreht hat. Mit dem heutigen Bewusstsein für Nachhaltigkeit, unserem Anspruch an Nachhaltigkeit, übernehmen die Rezyklistin, die Recyclinghof-Mitarbeiterin und deren Geschäftsführerin in unserer Welt eigentlich sogar eine Schlüsselrolle. Zumindest würde ich das in unserer Gesellschaft behaupten. Du führst diese Firma, gleichzeitig müsste der Abfall eigentlich weniger werden. Wenn wir bewusster leben würden, gäbe es auch weniger zu recyclen. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

JM
Für mich ist das kein Widerspruch. Es sind verschiedene Aspekte einer Kette: Natürlich wäre es am besten, wenn gar nicht erst so viel produziert werden müsste. Was bedeutet, wir würden gar nicht erst so viel konsumieren. Als Beispiel nenne ich Einwegprodukte mit einer gewissen Sinnlosigkeit. Es brauchen auch die wenigsten 27 T-Shirts im Schrank, die doch nie getragen werden. In diese Richtung gehen meine Gedanken. In dieser ganzen Abfall-Hierarchie, oder Abfall-Pyramide wie es in der EU und der Schweiz oft genannt wird, beginnt man ganz oben mit «Refuse» oder «Rethink» als Schlagwort. «Reduce» steht dann für den Ansatz kleinere, dünnere Schichten für die Verpackung einzusetzen, auch das braucht weniger Ressourcen. Die Treppe geht dann immer weiter runter, bis man halt irgendwann auch Polster neu bezieht, statt neue Garnituren zu kaufen, etc. Ganz zum Schluss kommt, egal bei welchem Produkt, aber immer der Punkt, an dem eine Wiederverwendung oder Reparatur nicht mehr möglich sein wird. Zum Schluss kommt immer eine Entsorgung. Dass man dann die Rohstoffe, die Materialen wieder dem Kreislauf zuführt, hier sehen wir uns. Natürlich: Wenn das weniger wird, müssen/können wir unser Geschäftsmodell anders ausrichten. Bezüglich der Menge an Rohstoffen sind wir aktuell an der Kapazitätsgrenze angekommen. Ein Rückgang der angelieferten Rohstoffe würde uns also auch Raum geben für anderes, was wir aktuell gar nicht haben. Irgendwann nach uns kommt dann schlussendlich die Verbrennung oder Deponie. Auch dieser Schritt gehört im Grunde dazu und wird immer einen Stellenwert haben. Schön wäre es, wenn es ein Kleinerer wäre.

SB
Im Zuge dieses Podacsts: In Deutschland wurde beispielsweise gerade gewählt im Moment dieser Aufnahme, da ist mir aufgefallen, dass sich selbst die Grünen dort schwer tun mit der konkreten Aufforderung zum Verzicht. Allgemein, politisch und gesellschaftlich tut man sich sehr schwer, das Thema Verzicht anzusprechen. Offensichtlich will sich niemand an diesem Thema die Finger verbrennen. Technologische Lösungsansätze und Schlagworte wie «Umwandlung» sind viel populärer. Es wird suggeriert, die Welt käme bestimmt mit anderen Ansätzen als dem Verzicht wieder ins Lot. Du nimmst das doch bestimmt auch wahr? Du bist nicht politisch aktiv, meldest dich gleichwohl in der Stadt zu Wort, wie nimmst du diese Diskussion wahr?

JM
Es ist für mich, gerade auch in der Politik, häufig ein Green-Washing, ein grünes Deckmäntelchen offensichtlich. Für mich geht das in die Wirtschaftstheorie rein: Wenn man Grosskonzerne hat, die vom Wachstum leben, weltweit viele Grosskonzerne, die vom Wachstum leben, wenn so extrem viel Geld erwirtschaftet wird, man aber gleichzeitig im vollen Ernst zu weniger Konsum auffordert, dann ist das der grösste Widerspruch. Man muss nicht, wenn man Apple heisst, das Gefühl haben, man brauche keine Geräte mehr zu verkaufen. Auch der Wechsel von lokalen Harddisks auf Speicher in der Cloud bedeutet nicht, dass der Konsum sinkt. Es bleibt ein Konsum, das Verhalten der Verbraucher:innen bleibt rohstoff-basiert. Das alles ist für mich ein schwieriger und sehr grosser Widerspruch, ich weiss nicht, ob der lösbar ist.

SB
Du hast mal in einem anderen Gespräch gesagt, du würdest am liebsten den Kunststoff verbieten. Macht dir dieser wirklich mehr Sorgen als der zunehmende anspruchsvolle Elektroschrott mit Smartphones und Tablets?

JM

Ich korrigiere schnell: Ich habe gesagt, ich würde Einwegverpackungen verbieten. Kunststoff ist in sehr vielen Anwendungen grandios. Aber der ganze Elektronikbereich ist ein Riesenproblem, und zwar nicht nur das Gerät an sich, sondern der ganze Bereich dahinter, das Streamen, die Datencenter, diese Energiefresser. Ich habe irgendwo gelesen, dass eine Stunde Netflixen schlimmer ist als ein Flug nach irgendwo hin – genau weiss ich es nicht mehr – auf jeden Fall ein riesiger Energieverbrauch. Und dieser Energieverbrauch muss ja auch gedeckt werden, also werden Solarpanels und Windräder gebaut, immerhin nachhaltig, aber trotzdem ein gewaltiger Ressourcenverbrauch. Es verlagert sich also einfach und für die Bevölkerung ist es aus den Augen aus dem Sinn. Politisch tönt es auch super – aber ob es unter dem Strich wirklich den Nutzen hat, wenn man alles technologisch umlagert – da bin ich nicht so sicher, aber dafür bin ich auch nicht Fachfrau.

SB
Siehst du dich denn als moderne Lumpensammlerin, also im positiven Sinn, die den Leuten beim Recyceln hilft oder an die richtigen Stellen weiterleitet, aber eigentlich der Meinung ist, dass das Problem so nicht richtig lösbar ist?

JM
Ich glaube nicht, dass es nicht lösbar ist, ich glaube, es braucht aber extrem viel vom Einzelnen, von Jedem. Wir sehen unseren Beitrag eher da, wo wir den Leuten die entsorgten Materialien so ökologisch sinnhaft wie möglich verwerten. Ob du das moderne Lumpensammlerin nennen willst…

SB
Ich weiss schon, dass das ein gewagter Begriff ist. Aber solange du noch lachen magst, bin ich auch froh. Ich sag’s jetzt nicht mehr, versprochen. Gibt es Dinge, die dich verärgern, wenn du selbst konsumierst, einkaufen gehst oder Konsum beobachtest?

JM
Ja da bin ich wieder beim Thema Einwegplastik: wenn man zum Beispiel Bananen in Scheiben schneidet und dann in Plastik verpackt, dann macht mich das sehr wütend. Wenn man Leute dazu animiert, neue Produkte zu kaufen, die energiesparender sind, dafür aber das alte, einwandfreie Produkt entsorgt, dann finde ich das auch schlecht. Wir erhalten manchmal Emails von wütenden Kundinnen, die uns erklären, dass wir unsere Flotte elektrifizieren müssen, schliesslich sei das die Zukunft. Wir kaufen doch keine Elektrofahrzeuge und schmeissen zweijährige Fahrzeuge auf den Schrotthaufen. Das macht mich auch wütend, weil es überhaupt nicht nachhaltig ist, nicht weitergedacht als bis zur eigenen Nasenspitze.

SB
Dein Urgrossvater hat das Ganze mit Pferd und Wagen gestartet, sammelte Alteisen und versuchte das an Giessereien zu verkaufen, damit die es wieder einschmelzen können. Eigentlich eine schlaue Idee in dieser Zeit des Weltkrieges. Gibt es heute noch Leute, die zum Beispiel Alteisen sammeln und es euch vorbeibringen?

JM
Ja die gibt es. Zum Beispiel Kleinbetriebe, die ein oder zwei Fahrzeuge haben, aber kein Lager. Die holen das Altmaterial und liefern es dann bei uns ab. Eigentlich ist das Rohstoffhandel. Viele Produkte aus der industriellen Produktion: Stanzabfälle, Metallspäne, etc. Solche Materialien kaufen wir ab und verkaufen sie nach der Bearbeitung weiter. Davon haben auch mein Grossvater und Urgrossvater gelebt.

SB
Am Anfang haben wir davon geredet, dass sich die Stadt wandelt. Die Industrie verschwindet, ihr werdet immer grösser. Trotzdem wird viel privater Abfall produziert, und damit geht euch die Arbeit nicht aus. Was landet am häufigsten bei euch?

JM
Das ist schwierig exakt zu beantworten. Ein Anteil ist Stahl und Eisen-Abfall, Sammelschrott von Gemeinden. Glas ist auch ein sehr grosser Anteil, ein anderer ist Papier und Karton. Dann könntest du unterteilen in Gewerbe-, Industrie- und Zeitungsabfall, das müsste ich aber in der Statistik anschauen.

SB
Ich wohne im Industriequartier, Lokstadt. Ein Ort, wo dein Urgrossvater vielleicht früher Alteisen geliefert oder abgeholt hat. Jetzt werden da Wohnungen gebaut, wo so viele Zalando-Pakete bestellt werden, die dann wieder bei dir landen wegen dem Karton-Abfall.

JM
Das nennt man eben Kreislaufwirtschaft

SB
Irgendwann kommt der Entscheid: man übernimmt das Familien-Geschäft oder nicht. Was wäre aus dir geworden, hättest du dich anders entschieden?

JM
Ich habe damals die Ausbildung mit Schwerpunkt Wald- und Landschafts-Management gemacht, der neue Name des Studiengangs Forstingenieur. Ich wäre also mit grosser Sicherheit im Wald gelandet.

SB
Wie geht es weiter in den nächsten 10, 20 Jahren? Es wird euch immer noch brauchen, aber was macht ihr dann genau?

JM
Es gibt für mich verschiedene Horizonte. Der erste ist auch wegen der aktuellen Herausforderungen bezüglich unseres Standortes, dieses Problem zu lösen und zu überleben. Weiterhin so zu arbeiten und effizient sein, um den Raum zur Entwicklung wieder zu öffnen. Aktuell können wir das fast nicht, weil wir so an den Grenzen sind. Mit jeder Investition wie z.B. neuen Verkehrskonzepten, neuen Anlagen, Fahrzeugen etc. versuchen wir die Effizienz zu steigern, damit wir Weiterentwicklung ermöglichen. Darauf freue ich mich auch. Es gibt viele Bereich, die ich gerne weiter erforschen möchte. Gerade wenn es nicht nur um Recycling geht, sondern um Repair, Reuuse und Refurbish. Wenn wir es schaffen, diesen zentralen Standort zu behalten, dann könnte es irgendwann einen weiteren geben, der sich auf diese Bereiche konzentriert. Dort sehe ich definitiv Potenzial, nicht nur für uns, sondern auch für die Stadt als ganzes System.

SB
Ich hätte noch tausend Fragen, aber wir belassen es mal dabei. Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast und weiterhin alles Gute.
Weiter­gedacht als bis zur eigenen Nasenspitze
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